
30.6.2018
Die Vollmondnacht vom 29. Juni zum 30. Juni war ideal, um von Vathy aus nach Chios zu segeln. Mit einem netten „kalo taxidi“ wurden wir per Funk von der Küstenwache verabschiedet, als wir uns abmeldeten. Dieses kurze Funkgespräch führte ich auf griechisch. Das war nicht so schwer, aber es kostete mich doch eine gewisse Überwindung. Kurz nach Mitternacht brachen wir auf. Der Start war mal wieder etwas holprig! Unser geliebtes Tamagotchi (Ankerboje) hatte sich mehrfach um die Kette gewickelt, das blaue Band der Ankerboje war richtig mit der Kette verdrillt. Ich konnte die Kette nur immer wieder ein kleines Stück hochziehen, dann musste ich wieder die Boje so um die Kette führen, dass die Kette wieder ein Stück frei kam. Mit viel Geduld war der Anker schließlich geborgen.

An ihm hingen einige Meter Angelschnur, die ich aber erst nach unserer Ankunft in Chios entfernte. Es wehte ein leichter Südwind, bis fünf Uhr musste der Motor mitlaufen, aber das Großsegel schob ein bisschen mit. Als ich Wache hatte, musste ich einer Fähre ausweichen. Zunächst fuhr diese einen Kurs, der gänzlich ungefährlich für uns war, ich behielt sie aber im Auge. Das war gut, denn sie änderte ihren Kurs und fuhr nun von hinten mit hoher Geschwindigkeit auf uns zu. Gefahr erkannt- Gefahr verbannt. Ich änderte unseren Kurs so, dass sie uns ohne Aufregung passieren konnte. Auf dem Track kann man die Kursänderung erkennen. Zwischen 4 und 5 Uhr morgens frischte der Wind auf, die Genua kam zum Einsatz und der Motor schwieg endlich. Wir segelten in einem spitzen Winkel auf die türkische Grenze zu, blieben brav in Griechenland. Allerdings waren unsere Smartphones anderer Meinung. Netterweise schickte uns unser Sohn Kristian drei Bilder aus Südkorea, die automatisch heruntergeladen wurden. Statt EU-Flatrate kostete uns der Spaß 50 Euro. Sobald wir das Dilemma bemerkt hatten, änderten wir schnell unsere Smartphone-Einstellungen. Eine Reklamation brachte nichts.
Die türkische Küste war hell erleuchtet, während die griechischen Inseln nur vereinzelte Lichter hatten. Wir hatten gelesen, dass in dem Kanal zwischen Chios und der Türkei der Wind meistens fünf Knoten stärker bläst als vorhergesagt. Das war auch jetzt so. Ein kräftiger Südwestwind blies uns in den Kanal. Wir halsten vor dem Wind und passierten so die engste Stelle gerade so noch auf griechischem Hoheitsgebiet. Die Einfahrt in die Marina von Chios war flach und eng und bei diesen Windverhältnissen nicht ungefährlich. Konzentriert steuerte Wolfgang uns in den Hafen. Sobald wir hinter der Mole waren war von dem starken Wind draußen fast nichts zu spüren. Die Marina ist nicht bewirtschaftet. Es gibt kein Wasser und keinen Strom. Dafür kostet sie auch nichts. Sie ist fast ausschließlich mit einheimischen Booten belegt. Zum Glück war noch ein Liegeplatz frei. Zwei nette Segler nahmen die Leinen von der Mole aus an. Dadurch war es ein entspanntes Anlegen längsseits. Die beiden Segler waren Susanne und Robert. Sie sind schon seit vielen Jahren auf ihrem Boot unterwegs. Robert hat es selbst gebaut. Wir hatten einen sehr netten und herzlichen Kontakt. Sie kennen sich in dem Segelrevier sehr gut aus und gaben uns viele wertvolle Tipps. Die Südwindphase war vorbei und das Weiterkommen nach Norden gegen den beginnenden Meltemi schwierig.

Wir blieben 8 Tage in Chios. Mit Wäsche waschen, Boot gründlich putzen, Vorräte auffüllen und natürlich die Gegend erkunden verging die Zeit wie im Fluge. In einem sehr gut sortierten Geschäft für Werkzeug und Schiffsbedarf fand ich unter anderem auch einen passenden Filter für unseren Staubsauger, viel günstiger als bei Amazon. Hierher kommen schon seit langer Zeit Flüchtlinge vom nahen türkischen Festland an. In der Nähe der Marina ist eine Kirche, die vor langer Zeit von Flüchtlingen aus Kleinasien gebaut wurde. Etwa 1km davon entfernt ist ein überfülltes Zeltlager für jetzt aktuell auf Chios angekommene Menschen aus Syrien und Afrika. Sie müssen unter sehr einfachen Bedingungen leben. Es ist nur natürlich, dass es hier immer wieder mal zu Auseinandersetzungen sowohl innerhalb des Lagers als auch zwischen den Lagerbewohnern und Einheimischen kommt. Die griechische Regierungen hat die Pflicht für Flüchtlinge, im Lager zu wohnen inzwischen aufgehoben. Es ist aber sehr schwer, den Menschen Wohnungen zu vermitteln. Ich las darüber in einer online- Zeitung. Im Stadthafen von Chios lag ein Frontexschiff und ein griechisches Militärschiff. Sie fahren auch regelmäßig Patrouille. Bisher haben wir auf unserer Reise bisher noch kein Boot mit Flüchtlingen gesehen, aber einige Funksprüche darüber gehört.

8.7.2018
Endlich schwächte sich der Nordwind etwas ab. Wir verließen die Chios-Marina und fuhren unter Motor nach Norden nach Inoussa, einer kleinen Insel im Nordosten von Chios. Hier soll die angesehenste Kapitänsschule Griechenlands sein. Es soll auch der Wohnsitz der großen Reeder in Griechenland sein.

Wir ankerten in einer fast leeren Bucht und genossen die Ruhe und die Natur. Bei meinen Recherchen im Internet über diese Insel fand ich einen Bericht ein türkisches Militärmanöver: ausgerechnet am 8. April 2018, dem griechisch orthodoxen Osterfest übten sie einen Angriff auf Inoussa mit mehreren Fregatten. Ostern ist für die meisten Griechen ein sehr wichtiges Fest. Die Empörung über diese Provokation war zurecht enorm. Chios und Inoussa wuren im April 1822 von dem damaligen Osmanischen Reich überfallen. Dabei wurden etwa 25000 Einwohner getötet, 45000 Menschen wurden versklavt und 10000 bis 15000 Griechen konnten fliehen. Vor diesem Massaker wohnten etwa 100000 Menschen auf Chios, das eine in ganz Europa angesehene Handelsflotte hatte. Jetzt wohnen auf Chios wieder etwa 50000 Menschen. Sie leben hauptsächlich von Oliven- und Weinanbau. Im Süden der Insel wird hauptsächlich das Harz der Mastixbäume geerntet. Es wird in Handarbeit gereinigt und gewinnbringend verkauft.