Ägäis 2018

Milos – Tamagotchi blinkt SOS

Adamas
Kyparissi-Milos
Kyparissi-Milos
16.05.2018

Am 16. Mai nachts um 2:19 Uhr ging es endlich ostwärts Richtung Kykladen. Wir starteten mitten in den Nacht, um noch bei Tageslicht Milos zu erreichen. Für die 74 Seemeilen hatten wir ca. 17 Stunden geplant.  Der Wind sollte allerdings nur schwach (3 Bft.) von achtern wehen. Zumindest war er nicht gegen uns. Bei slupgetakelten Booten wie unserem, insbesondere bei Katamaranen, wird beim Segeln vor dem Wind (Wind von hinten) der Vortrieb durch Winddruck und nicht mehr durch Strömung am Segel erzeugt. Das macht das Segeln wesentlich langsamer. Der Bug taucht bei Katamaranen dabei tiefer ins Wasser ein und bremst dadurch zusätzlich. Wir hatten Neumond und damit eine kohlrabenschwarze Nacht. Auf dem Wasser war nichts zu erkennen, kein Fels, keine Boje. Wir verließen uns auf unser GPS, Navi und Gehör, wobei das Gehör in der Regel zu spät kommt.

alter Kühlschrank im Cockpit
der alte Kühlschrank im Cockpit

Im Cockpit befand sich ein blinder Passagier, unser alter Kühlschrank, den wir jetzt durch das Mittelmeer spazieren fuhren bis wir für ihn eine Bleibe finden würden. Jedenfalls hatte der Steuermann / die Steuerfrau jetzt Gesellschaft im Cockpit. Wir drei motorten also in die schwarze Nacht hinein und wechselten uns  als Rudergänger ab, wobei der Kühlschrank dazu gänzlich ungeeignet war. Bis 6:40 Uhr, als es schon hell war, musste der Motor mitlaufen, weil wir zu wenig Wind hatten. Anschließend folgte das bei uns sehr beliebte „Motor-an-Motor-aus“-Spiel (zu wenig Wind -> Motor an, ausreichend Wind -> Motor aus). Der wenige Wind hatte den Vorteil, dass wir nur wenig Seegang hatten. Leider kamen die Wellen von Süden, also senkrecht zu unserer Fahrtrichtung, sodass Meerkat doch etwas schaukelte, was aber gut erträglich war.

Velopoula bei Sonnenaufgang
Velopoula (Βελοπούλα) bei Sonnenaufgang

Gegen 7:30 Uhr passierten wir südlich die kleine, unbewohnte Felseninsel Velopoula (Βελοπούλα), früher auch Parapola (Παραπόλα) genannt.

Falkonera
Falkonera (Φαλκονέρα)

Gegen 11:46 Uhr passierten wir diesmal nördlich die ebenfalls kleine, unbewohnte Felseninsel Falkonera (Φαλκονέρα). Hier brüten jedes Jahr Eleonorenfalken.

Andimilos
Andimilos (Αντίμηλος)

Andimilos (Αντίμηλος) war die dritte und letzte Insel, die wir etwa 6,5 Seemeilen vor Milos gegen 15:20 Uhr passierten, ist ebenfalls unbewohnt, Brutplatz für u.a. Eleonorenfalken und Heimat der seltenen Ägäischen Wildziegen. Velopoula, Falkonera und Andimilos stehen unter Naturschutz. Die Wildziegen sahen wir zwar, aber etwas anderes hat uns viel mehr beschäftigt. Bei 10 kn Wind konnten wir zunächst leidlich gut und friedlich dahinsegeln. Als wir an den Windschatten von Andimilos kamen, drehte der Wind plötzlich und nahm bis auf 18 kn zu, ein Effekt ähnlich wie bei einem angeströmten Flugzeugtragflügel. Im Windschatten der Insel war fast kein Wind mehr (1 kn) und wir mussten den Motor starten, um überhaupt weiter zu kommen. Bei Austritt aus dem Windschatten erfolgte das Schauspiel in umgekehrter Reihenfolge.

Felsen vor Einfahrt zur Bucht von Milos
Markante Felsen vor Einfahrt in die Bucht von Milos

Milos kündigte sich schon durch seine markanten Felsen westlich des Eingangs zur Bucht an. Dem für die nächsten Tage vorhergesagten Westwind geschuldet, Suchten wir uns eine Ankerbuch auf der Westseite der Bucht von Milos, die Rivari-Bucht. Beim ersten Ankerversuch hatte der Anker eine Menge Seegras aufgesammelt und konnte sich daher nicht eingraben.

Ankerboje am Anker
Ankerboje am Anker befestigt

Beim zweiten Versuch fiel der Anker um 18:15 Uhr auf einen seegrasfreien Flecken auf 5,10 m Tiefe und hielt. Wir konnten dabei gleichzeitig unsere neu abgedichtete Ankerboje testen. Sie schien jetzt dicht zu sein.

Bucht von Rivari
Bucht von Rivari

Sicher vor Anker und ganz allein in „unserer“ einsamen Bucht genossen wir unseren Ankerwein im Schein der Abendsonne mit Blick auf die Bucht von Milos.

Renate flirtet mit unserer Ankerboje
Renate flirtet mit unserer Ankerboje

Renate ging noch eine Runde schwimmen und flirtete mit unserer Ankerboje, die es sichtlich genoss.  Weil wir nach unserer Nachtfahrt rechtschaffen müde waren, gingen wir früh zu Bett.

Blinder Passagier sieht nichts mehr
Blinder Passagier sieht nichts mehr

Am nächsten Tag wollten wir neben einigen kleinen Bootsarbeiten, wie Kühlschrank verpacken, hauptsächlich entspannen. Beim Bootsrundgang nach dem Aufstehen stellten wir fest: die Ankerboje ist weg! Wieder gesunken? Das sollte nach unserer Abdichtaktion nicht sein. Rings um das Boot war keine Boje zu sehen. Eine verräterische Spur lieferte uns unsere Ankerkette. Durch das kristallklare Wasser konnten wir sie vom Boot weg auf dem Meeresgrund verfolgen und – wieder zurück zum Boot. Hatte sich unsere Boje unter Meerkat versteckt? Wollte sie Schabernack mit uns treiben?

Ankerboje zwischen den Rümpfen von Meerkat
Ankerboje zwischen den Rümpfen von Meerkat

Plötzlich schaute sie keck und unschuldig zwischen den Rümpfen aus einer Ecke hervor. Wir  schubsten sie aufs freie Wasser und wollten endlich frühstücken. Kurz nachdem wir saßen klopfte es. Bumm, bumm. Wir gingen nach draußen, um nachzusehen. Die Ankerboje war wieder weg. Diesmal waren wir schon auf ihre Tricks vorbereitet.

Ankerboje kuschelt an de Bordwand
Ankerboje kuschelt an de Bordwand

Sie hatte sich ganz dicht an Meerkats Steuerbordrumpfwand gekuschelt. So langsam interpretierten wir menschliche Eigenschaften in ihr Verhalten. Aber nein, das ist doch nur ein Verbund aus Kunststoffkappen und einer Stahlfeder. Jetzt erinnerte ich mich an eine Modeerscheinung Ende der 90-iger Jahre: ein kleines eiförmiges virtuelles Haustier, das Bedürfnisse hat wie schlafen, essen, trinken und Zuneigung. Es entwickelt eine eigene Persönlichkeit. Zu unterschiedlichen Zeiten meldet es sich und verlangt nach der Zuwendung des Besitzers. Sollte es vernachlässigt werden, stirbt es. Es handelt sich um ein Tamagotchi. Seitdem nennen wir unsere Ankerboje Tamagotchi. Wieder klopft es bumm, bumm, bumm. Was fehlt Tamagotchi nun schon wieder. Keine Frage, es wollte etwas von uns. Unser eigenes Frühstück vernachlässigend, kümmerten wir uns selbstverständlich zunächst um Tamagotchi. Es war wieder an die Bordwand gekommen. Hatte es Sehnsucht nach uns? Hatte Renate gestern Abend zu heftig mit ihm geflirtet? Vielleicht hatte es auch nur ein ganz menschliches, äh tamagotchisches Bedürfnis.

Ich führe Tamagotchi Gassi
Ich führe Tamagotchi Gassi

Ich ging mit ihm Gassi, noch im Schlafanzug.

Ich halte Tamagotchi ab
Ich halte Tamagotchi ab

Da es nicht wie ein Hund ein Bein heben kann, hielt ich es ab, indem ich es aus dem Wasser nahm. Siehe da, die Not war wohl groß gewesen. So beschäftigte uns Tamagotchi, mehr als uns lieb war. Als rein erzieherische Maßnahme ignorierten wir manchmal sein Klopfen.

Tamagotchi schmollt
Tamagotchi schmollt

Dann zog es meistens beleidigt davon und hielt eine Weile Ruhe. Wenn Tamagochi tief und träge im Wasser lag, dann war es Zeit, es wieder abzuhalten. Danach hüpfte es wieder fröhlich auf den Wellen. Auch nachts klopfte es öfter: bumm, bumm. Hatte es Angst allein draußen im Wasser? Bestand die Gefahr, dass es wieder untertaucht? Wir blieben hart. Wir wollten es an das Durchschlafen gewöhnen und reagierten nur darauf, wenn es besonders penetrant klopfte. Dann war es wohl in Not.

Am nächsten Abend gingen wir ins Bett, natürlich nicht, ohne Tamagotchi „Gute Nacht“ zu wünschen. Später stand ich noch einmal auf und glaubte zu träumen. Als ich aus dem Fenster sah, war Tamagotchi vor dem Fenster zu sehen und blinkte 3x kurz, 3x lang, 3x kurz. Und wieder 3x kurz, 3x lang, 3x kurz. Das war „SOS„. Ich hatte doch gar keinen Alkohol getrunken. Ein Gedanke schoss mir durch den Kopf. Es musste ihm verdammt schlecht gehen. Unser Tamagotchi hat vielleicht eine Seele, aber keine Elektronik. Da stimmt was nicht. Inzwischen war ich hellwach. Ich ging nach draußen. Am Ufer stand ein Polizeiauto mit Blaulicht. Aber es blinkte nicht SOS. Von der Wasserseite kam ein Boot mit Suchscheinwerfer auf uns zu. Auch dieses blinkte nicht SOS. Ein Blick gen Himmel ließ mich erstarren. Unser Ankerlicht auf der Mastspitze blinkte 3x kurz, 3x lang, 3x kurz, usw.. Wenn man es 1x schaltet geht das normale Ankerlicht an, bei 2x Schalten in kurzem Abstand leuchtet das 3-Farben-Navigantionslicht, bei 3x Schalten erfolgt SOS. So schnell ich konnte, schaltete ich auf Ankerlicht um. Zwecklos. Das Boot drehte nicht ab, sondern fuhr weiter mit hoher Geschwindigkeit auf uns zu. Als es in Rufweite war, rief uns jemand auf englisch zu, ich sollte Kanal 12 einstellen. Es stellte sich heraus, dass es sich um die griechische Küstenwache (Hellenic Coast Guard, Λιμενικό Σώμα) handelte. Sie sagten, dass sie schon seit längerer Zeit das SOS sehen würden. Was der Grund wäre? Und neben unserem Boot würde ein kleines Gerät ebenfalls SOS blinken. Es fiel mir sichtlich schwer, eine schlüssige Antwort zu geben, die sie befriedigt hätte. Sie forderten uns auf, mit ihnen in den Hafen nach Adamas zu kommen. Also um 23:40 Uhr Anker auf und Tamagotchi an Bord.

Hellenic Coast Guard
Hellenic Coast Guard, die Eskorte der letzten Nacht

Eskortiert von der Küstenwache fuhren wir die 2,5 Seemeilen in den Hafen mit mir im Schlafanzug am Steuer. Unsere Papiere wurden kontrolliert und unser Boot inspiziert. Ich war immer noch im Schlafanzug. Ich versuchte zu erklären, dass das Ankerlicht wohl eine Fehlfunktion hatte und Tamagotchi einen reflektierenden Streifen, der das SOS des Ankerlichts reflektiert hat. Wir hatten über Tage das Ankerlicht angelassen, weil es sich helligkeitsgesteuert selbst ein- und ausschaltet. Vielleicht hatte es in der Dämmerung 3x kurz hintereinander geschaltet und ist so in den SOS-Mode gekommen. Meine Erklärungen lösten teils Heiterkeit und teils Unverständnis aus. Ich sollte ihnen das SOS am Ankerlicht demonstrieren. Das war etwas, was mir ausnahmsweise mühelos gelang. Da ein Stempel in unserer DEKPA fehlte (nicht unsere Schuld), mussten wir uns am nächsten Morgen erneut im Büro der Hafenpolizei melden. Dann durften wir am Stadtkai bis zum nächsten Morgen anlegen.

Meerkat römisch-katholisch
Meerkat römisch-katholisch

Anschließend zogen wir mit Meerkat in die benachbarte Marina um, wo wir zum ersten Mal mit Meerkat römisch-katholisch angelegt haben, d,h. mit dem Heck an die Pier oder den Ponton. Das ist wegen des Dinghis häufig nicht möglich. Wir trafen unsere schottischen Freunde Gordon und Louise, die wir schon in Kalamata kennengelernt hatten und die schon vor uns in der Marina lagen. Wir gingen zusammen essen und hatten einen recht lustigen Abend.

Sphynx bewacht Kühlschrank
Sphynx bewacht Kühlschrank

Unser Kühlschrank wurde mittlerweile von Sphynx bewacht.

Krater in der Bucht von Milos
Krater in der Bucht von Milos

Milos ist bekannt durch die Aphrodite-Statue „Venus von Milo“, die in Paris im Louvre steht und hier 1820 gefunden wurde. Dem heimischen Archäologischen Museum ist lediglich eine Kopie geblieben. Milos ist eine Vulkaninsel von seltener Schönheit. Das Gestein leuchtet aufgrund seines Mineralgehaltes und der Reaktion mit Schwefel in den unterschiedlichsten Schattierungen von weiß, gelb, orange und rot. Die Bucht von Milos besteht vermutlich aus drei Vulkankratern, die inzwischen Anschluß an die offene See haben. Aufgrund des vulkanischen Ursprungs ist Milos reich  an Bodenschätzen, die hier in beträchtlichem Umfang abgebaut werden. Es sind von den 5000 Einwohnern der Insel mehr im Bergbau beschäftigt als im Tourismus. Von internationalen Fluglinien wird der kleine Flughafen nicht angeflogen. Daher ist Milos trotz seiner Schönheit nicht so von Touristen überlaufen wie andere Inseln dieser Größe. Eine Magmakammer befindet sich in 6-8 km Tiefe unter Milos und beschert der Insel heiße Quellen und Fumarole (Wasserstoff und Schwefelgase).

Plaka
Plaka

Oberhalb der Hafenstadt Adamas (Adamantis) liegt auf einem Hochplateau der pittoreske Hauptort Plaka mit der Gemeideverwaltung und Archäologischem Museum.

Klima
Klima

2 Kilometer unterhalb am Wasser liegt der Ort Klima. Er ist bekannt für seine direkt an die Wasserlinie gebauten Häuser, den Syrmata. Sie bestehen häufig nur aus zwei Zimmern. Im Erdgeschoss befindet sich das Wohnzimmer, in dem  im Winter auch das Fischerboot seinen sicheren Aufbewahrungsort findet. Im ersten Stock schläft die ganze Familie.

Wir haben leider viel zu wenig von Milos gesehen. Um unseren Zeitverlust, der durch Warten auf Godot entstanden war, nicht noch größer werden zu lassen, mussten wir uns, auch weil der Wind als günstig vorhergesagt wurde, verabschieden.

Milos, wir kommen wieder, dann mit mehr Zeit im Gepäck.

 

 

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